
Im Interview erklären Falk Tennert und Angela Bittner-Fesseler, wie strategische Krisenkommunikation funktioniert, welche Fehler Organisationen vermeiden sollten und wie das SCCT-Modell dabei hilft, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu bewahren.
Im Interview erklären Falk Tennert und Angela Bittner-Fesseler, wie strategische Krisenkommunikation funktioniert, welche Fehler Organisationen vermeiden sollten und wie das SCCT-Modell dabei hilft, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu bewahren.
Wenn eine Krise eintritt, steht ein Unternehmen unter enormem Druck. Jede Entscheidung und jede Aussage kann darüber entscheiden, ob die Reputation Schaden nimmt oder ob das Unternehmen sogar gestärkt aus der Situation hervorgeht. Damit dies gelingt, braucht es durchdachte Krisenkommunikation, die idealerweise schon vor dem Ernstfall vorbereitet ist.
Über die Bedeutung strategischer Kommunikation in Krisenzeiten und den Einfluss auf das öffentliche Bild einer Organisation sprechen wir mit Prof. Dr. Angela Bittner-Fesseler und Prof. Dr. Falk Tennert. Sie haben auch ein Buchkapitel über die „Ursachenzuschreibungen im Krisendiskurs“ und den Nutzen der Situational Crisis Communication Theory (SCCT) geschrieben.
Angela Bittner-Fesseler: Krisenereignisse sind ein Kulminationspunkt öffentlicher Aufmerksamkeit. In einer akuten Krise schaut die Öffentlichkeit - stellvertretend u.a. journalistische Medien - sehr genau hin. Diese informieren über die Krise und fragen nach, wer etwas falsch gemacht hat bzw. erklären auch, warum die Krise entstanden ist und wer die Verantwortung dafür übernehmen sollte. Diese Ursachen- und Verantwortungszuschreibung ist öffentlich und wird als Krisendiskurs bezeichnet.
Falk Tennert: Und genau dieser Krisendiskurs umfasst die gesamte medienvermittelte Kommunikation zu einem Krisenereignis, also die organisationale Krisenkommunikation, die journalistische Krisenberichterstattung sowie weitere öffentlich sichtbare Kommunikation auf digitalen Plattformen und in sozialen Netzwerken. Öffentliche Krisendiskurse sind zudem immer auch durch Verantwortungszuschreibungen geprägt. Bei einer Krise stellt sich automatisch die Frage: Woran hat's gelegen? Wer ist verantwortlich? Involvierte Akteure, Medien und weitere Anspruchsgruppen werden im Regelfall unterschiedliche Ursachen und Verantwortlichkeiten benennen, und dies ist ein Bestandteil des Krisendiskurses. Je nachdem, welche Ursachen benannt werden und sich als mehrheitsfähig im öffentlichen Diskurs durchsetzen, wird dadurch auch die Wahrnehmung von Organisationen oder einzelnen Personen determiniert. Die Deutung von Krisenereignissen durch Ursachenzuschreibungen lässt sich zudem strategisch steuern, etwa durch Verfahren der Externalisierung, Umdeutung, Marginalisierung von Kritikern etc.
Falk Tennert: Aus analytischer Perspektive lassen sich Ursachen- und Verantwortungszuschreibungen dimensional klassifizieren, beispielsweise in interne oder externe Ursachen, zeitlich stabile oder instabile, intendierte und nicht intendierte. Das sind grundlegende Muster der sozialen Wahrnehmung und im Rahmen der aus der Sozialpsychologie stammenden Attributionstheorie hat man diese Dimensionen klassifiziert und durch Theorien modelliert. Obwohl die Attributionstheorie ursprünglich zur Analyse von Ursachen- und Verantwortungszuschreibungen in interpersonalen Situationen entwickelt wurde, lässt sie sich hervorragend auf öffentliche und medienvermittelte Kommunikation übertragen.
Der funktionale Wert von Attributionstheorien ist zunächst in der Analyse von Ursachendimensionen im Kontext eines Krisendiskurses zu sehen. Hier steht zunächst der primär wissenschaftliche Erkenntnisgewinn im Vordergrund: Eignen sich Attributionstheorien überhaupt zur Analyse medienvermittelter Kommunikation? Welche Ursachenerklärungen werden in der Krisensituation formuliert? Welche Anspruchsgruppen äußern sich, welche werden marginalisiert oder vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen? Das sind klassische, kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen für Inhaltsanalysen. Nachgelagert hat man dann in der PR-Forschung die Attributionstheorie mit Reputationsmodellen verknüpft und daraus die Situational Crisis Communication Theory (SCCT) entwickelt. Die SCCT ist eine erkenntnistheoretisch präskriptive Theorie mit praktischem Bezug für das Kommunikationsmanagement. Sie stellt ein theoriebasiertes Konzept für das operative Kommunikationsmanagement dar. Dies umfasst beispielsweise Guidelines und Kommunikationsempfehlungen für Krisenmanager, die eine Bewertung von Reputationsbedrohung für eine Organisation anhand der Zuschreibung der Verantwortung vorzunehmen müssen.
Angela Bittner-Fesseler: Kommunikationsverantwortliche sollten also immer die vorhandene Reputation, die Krisenvorgeschichte sowie die Verantwortungsattribution durch Stakeholder und Beobachter im Blick haben, da diese drei Faktoren über Reputationsverlust oder Akzeptanz und Verständnis entscheiden. Mit Hilfe der Situational Crisis Communication Theory können verantwortliche Personen die Situation analysieren und in Beziehung zu den Zuschreibungen, Reaktionen und Äußerungen relevanter Stakeholder setzen. Auf dieser Basis kann dann auch die geeignete Bewältigungsstrategie bestimmt werden. Nehmen wir bspw. eine Naturkatastrophe wie ein Tsunami: Hier besteht klassischerweise eine geringe Verantwortlichkeit und das Management würde dementsprechend die Verantwortung dafür zurückweisen. Anders ist es, wenn das Management es versäumt hat, an gefährdeten Standorten ausreichend für Sicherheit zu sorgen, sondern aktuell oder in der Vergangenheit sogar daran gespart hat. Dies würde zu einer höheren Verantwortungszuschreibung führen, was wiederum eine andere Kommunikationsstrategie benötigt, da der gute Ruf durchaus gefährdet ist.
Falk Tennert: In der Fach- und Ratgeberliteratur finden sich ganz unterschiedliche Ansätze zur Klassifizierung von Krisentypen. Einerseits gibt es Ansätze, die inhaltlich oder funktionsbezogenen klassifizieren, beispielsweise in Organisationskrisen, Wirtschaftskrisen, Vertrauens,- Führungs- oder Existenzkrisen. Basierend auf einer Einteilung des Kriseninstituts der Universität Kiel (2024) können speziell Unternehmenskrisen in bilanzielle Krisen (Pleiten), kommunikative Krisen (Skandale) und operative Krisen (Störungen) unterteilt werden.
Andererseits gibt es Klassifikationen, die den Zusammenhang zwischen wahrgenommener Verantwortung und einem spezifischen Krisentypen herstellen. Hier wird üblicherweise zwischen den Krisentypen Opfer (victim crisis), Unfall (accidential crisis) und Absicht (preventable crisis) unterschieden. Bei den Typen Opfer oder Unfall liegt eine niedrige bis mittlere Verantwortlichkeit seitens der Organisation vor, beim Typ Absicht, wie der Name schon sagt, eine hohe Verantwortlichkeit. Hier verstoßen Organisationen bewusst gegen Gesetze, Regelungen oder unterschlagen wichtige Informationen. Einhergehend mit der Zunahme der Verantwortlichkeit steigen auch die Reputationsrisiken. Neben dem Krisentyp spielen für die Intensität von Ursachenzuschreibungen auch das Schadensausmaß und das Vorhandensein einer Krisenhistorie von Organisationen eine Rolle: Gab es in der Vergangenheit bereits vergleichbare Krisensituationen, ist die Öffentlichkeit sensibilisiert, was zu einem intensiveren Krisendiskurs führen kann.
Angela Bittner-Fesseler: Zuallererst muss trotz des Zeitdrucks in einer Krise durch das Management und die Kommunikationsverantwortlichen systematisch analysiert werden, was passiert ist und wie der Status quo – auch kommunikativ – ist. Hier empfehlen wir unbedingt, auch wenn das eigene Studium möglicherweise schon lange her ist, sich mit der Krisentheorie zu beschäftigen, um jederzeit vorbereitet zu sein. Auch wenn dies wie Alarmismus klingt: Die Zahl der Krisen ist in den vergangenen Jahren nachweislich stark gestiegen. Befragungen zeigen, dass fast jedes bekannte Unternehmen jährlich mindestens eine – kleine oder große – Krise zu bewältigen hat. Daher heißt es professionell vorbereitet zu sein, um diesen Zeitvorsprung in einer akuten Krise nicht zu verlieren.
Falk Tennert: Ich würde hier noch ergänzen: Zunächst muss überhaupt eine Sensibilisierung für Reputationsrisiken vorhanden sein. Das ist nicht bei allen Organisationen und Situationen gegeben und auch nicht immer möglich. Ist eine entsprechende Sensibilisierung vorhanden, sollten Organisationen für die eigenen Statements auch die Ursachenzuschreibungen durch die Stakeholder beachten, um auf dieser Basis die richtige Kommunikationsstrategie wählen zu können. Das ist Teil des aktiven Deutungsmanagements. So können Führungskräfte und Kommunikationsverantwortliche ein angemessenes Framing nutzen oder bestehende Frames im Sinne der Organisation sogar anpassen und in die eigene Kommunikation implementieren. Deren Erfolg hängt davon ab, ob sowohl Framing als auch die Kommunikationsstrategie selbst für die Öffentlichkeit sowie die betroffenen Stakeholder glaubwürdig ist und überzeugend wirkt. Und wie immer gilt: nach der Krise ist vor der Krise, allerdings ist der Lerneffekt aus Krisenereignissen in Organisationen, wie viele empirische Befunde zeigen, häufig sehr überschaubar.
Mehr Informationen zur Ursachenzuschreibung im Krisendiskurs und der SCCT finden Sie im Sammelband „Führen in der Krise – Führen aus der Krise“. Über SpringerLink können sich Studierende der SRH Fernhochschule das Buch kostenlos herunterladen.
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Prof. Dr. Angela Bittner-Fesseler ist Professorin für Medien- und Kommunikationsmanagement an der SRH Fernhochschule und Studiengangsleiterin des Masters Medien- und Kommunikationsmanagement (M.A.).
Prof. Dr. Falk Tennert ist Professor für Wirtschaftspsychologie – Schwerpunkt Medien und Kommunikation an der SRH Fernhochschule und Studiengangsleiter für Wirtschaftspsychologie (B.Sc.).
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