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Potentiale von Netzwerken und Cloud-Lösungen: "Das sind wahre Schätze. Man muss aufpassen, wer sie hebt."

Unsere Expert:innen im Gespräch: Prof. Dr. Wolfram Behm, Professor für Wirtschaftsinformatik, über die Möglichkeiten von Cloud-Lösungen. (Lesedauer: 9 Minuten)

SRH Fernhochschule | Prof. Dr. Wolfram Behm

Wolfram Behm hat als Studiengangsleiter Wirtschaftsinformatik nicht nur seit mehr als 20 Jahren die Professur für Informations- und Kommunikationsmanagement an der SRH Fernhochschule inne, sondern davor bereits viele Jahre wertvolle Erfahrung als Wirtschaftsingenieur im IT-Projektgeschäft gesammelt. Wenn man ihn auf die Möglichkeiten von Cloud-Lösungen und Netzwerktechnik anspricht, wählt er den kundigen Blick in die Historie, anstatt zur Glaskugel zu greifen. Wie sich Technologien in Zukunft entwickeln könnten, lässt sich daraus bestens ableiten.

Herr Prof. Dr. Behm, was sind denn Cloud-Lösungen eigentlich und welche Potenziale stecken in der Evolution der Netzwerke? Ist schon morgen alles nur noch in der Cloud zu finden?

"Dazu muss man die Begriffe zunächst ein wenig differenzieren und die Grundlagen verstehen. Netzwerke sind per se alles andere als neu. Wenn wir heute über Everything as a Service, Just-in-Sequence oder die Sharing Economy sprechen, dann basieren auch diese Trends und neuen Geschäftsmodelle auf den gleichen Annahmen und Zielen, die man vor Jahrzehnten schon zugrunde legte, als sich der Gedanke der Vernetzung von Computersystemen zu etablieren begann. Das hatte mit dem Internet von heute allerdings noch wenig gemein."

So wie bei den LAN-Partys früher, als man seine Rechner direkt per Kabel miteinander verband, um in einem Local Area Network miteinander spielen zu können?

"Das war in der Wirtschaft damals nicht anders. Als die Ingenieure und Bauzeichner irgendwann von ihren riesigen Zeichentischen auf die Computer umstiegen, kam man auf die Idee, diese miteinander zu verbinden. Wenn ich am PC arbeite und mein Kollege auch, dann kann ich ihm meine Zeichnung auch auf seinem PC zukommen lassen – und er sich den Weg an meinen Schreibtisch sparen. Heute sind die Vernetzungen extrem gewachsen und durch die technische Entwicklung, also immer schnellere Rechner und immer mehr Bandbreite und Speed, ungleich komplexer geworden. Wir Menschen können so einen Daten- und Informationsfluss gar nicht mehr bewältigen. Das müssen wir auch nicht mehr. Aber angefangen hat es tatsächlich mit einer direkten Verbindung der Rechner untereinander."

Und dann?

“Nach den innerbetrieblichen kamen zunächst die zwischenbetrieblichen Verbindungen, also zum Beispiel eine direkte Leitung zum Zulieferer oder zum Finanzdienstleister. Je schneller Informationen wandern können, desto eher kann man Prozesse automatisieren. Das lief damals noch ganz ohne Cloud, aber das Prinzip, dem wir inzwischen globale Supply Chains verdanken, ist dasselbe.”

Wie haben sich die Lieferketten entwickelt und wo geht die Reise hin?

“Die Möglichkeiten haben sich enorm verbessert, Enterprise Resource Management (ERP) Systeme verschiedener Unternehmen kommunizieren längst direkt miteinander. Bei der zwischenbetrieblichen Vernetzung, die wir angesprochen haben, hatte man bereits das Ziel, just in time liefern zu lassen und die Lagerhaltungskosten zu minimieren. Heute aber liefert das Monitoring nicht mehr nur Informationen zum eigenen Lieferanten, sondern auch zum Lieferanten meines Lieferanten und so weiter. Ein Beispiel: Vor zwei Jahren blieb das Containerschiff Ever Given auf dem Weg von China nach Rotterdam im Suezkanal stecken. Der gesamte weltweite Warenfluss schien zum Erliegen zu kommen, etliche Branchen waren betroffen. Eine solche Havarie können Sie zwar nicht verhindern. Aber dank moderner Netzwerke und mit Hilfe von KI können Sie Störfälle viel früher berücksichtigen und rechtzeitig tragfähige Prognosen erstellen. Anhand derer erkennen Sie dann, dass der Vorfall Ihren Lieferanten und damit Ihre Bestellung betreffen könnte und Sie können zum Beispiel nach alternativen Lieferanten suchen.”

Es sollte immer um Effizienz und wirtschaftlichen Nutzen gehen. Nachhaltiger ist das sowieso.
Prof. Dr. Wolfram Behm

Dennoch hat spätestens die Pandemie die Unzulänglichkeiten globaler Lieferketten zutage treten lassen, oder nicht?

"Im Gegenteil: Nach meiner Auffassung haben diese auch und gerade während Corona hervorragend funktioniert. Die Prozesse sind heute so vielschichtig, dass man schnell den Eindruck bekommt, schon ein einzelnes Sandkorn im Getriebe könne alles zusammenbrechen lassen. Die Pandemie war aber alles andere als nur ein Sandkorn. Es gab durchaus Lieferketten, die in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das sind aber meist Bereiche, die grundsätzlich anfällig sind, zum Beispiel weil die Betriebe selbst in guten Zeiten mit geringen Margen leben müssen. Wenn dort drei Wochen lang die Aufträge fehlen, geht tatsächlich schnell was kaputt und die Ketten werden unterbrochen. In vielen Bereichen hat man aber keinerlei Auswirkungen bemerkt. Ich könnte rückblickend nichts benennen, was ich damals hätte kaufen wollen, aber nicht bekommen konnte, weil die Lieferkette klemmte. Außer Toilettenpapier vielleicht, aber das hatte andere Gründe."

Also wird sich die Entwicklung hin zu immer effizienteren Prozessen fortsetzen?

"Es sollte idealerweise immer um Effizienz und wirtschaftlichen Nutzen gehen. Wenn die Firmen früher noch eigene Rechenzentren gebaut haben, dann tun sie das heute nicht mehr, weil es ökonomisch sinnvoller ist, es einen Dienstleister übernehmen zu lassen. Ein riesiges, ausgelastetes Rechenzentrum ist immer effizienter als hundert kleine, die nicht voll ausgelastet sind. Außerdem setzt es Kapazitäten frei, wenn nicht mehr jede Firma die Kompetenz vor Ort haben muss, um ein Rechenzentrum sicher und zuverlässig zu betreiben. Nachhaltiger ist es sowieso, was in Zukunft ja noch an Bedeutung zunehmen wird."

Sie sagten eingangs, dass wir mit den Begriffen aufpassen müssen und dass alles, was wir bislang angesprochen haben, auch ohne Cloud-Lösungen möglich war. Was ist denn nun die Cloud?

“Ich will nicht kleinlich sein, aber im Grunde nichts anderes als ein Angebot von Internetspeicher und Rechenleistung. Den Begriff Cloud, also Wolke, hat man bemüht, weil man nicht immer genau sagen kann, wo Speicher und Rechner sind, die die gebuchten eigenen Daten und Services bereitstellen. Man könnte auch sagen: Die Computernetzwerke – also ganz einfach alle Rechner und Rechenzentren, die miteinander verbunden sind – das ist die Cloud! Das ist bis heute der größte Vorteil: die verteilte Datenhaltung. Nehmen wir den weltweit größten Anbieter von Cloud Services, Amazon. Die werden Ihnen in der Regel nicht mitteilen, auf welchen Servern Ihre Daten, Ihre Software oder die gebuchte Rechenleistung läuft. Aber man garantiert Ihnen, dass Sie jederzeit drankommen. Wo Sie im eigenen Unternehmen schnell an Kapazitätsgrenzen stoßen, macht Amazon eben ein neues Rechenzentrum auf. Auch Cybersicherheit ist ein Punkt. Kleine Firmen geraten zunehmend ins Visier der Hacker. Dagegen können Sie bei einem Weltmarktführer davon ausgehen, dass man bestens gerüstet ist. Amazon hat schließlich einen Ruf zu verlieren.”

Schöne neue Business-Welt! Sehen Sie dennoch Nachteile? Oder gar Gefahren?

“Auch wenn Cloudlösungen in der Regel effizient und nachhaltig sind, muss das nicht auf jeden Bereich und jede Branche zutreffen und vor allem nicht immer so bleiben. Ständiges Monitoring ist vonnöten. Unternehmerische Verantwortung und vernünftiges Management können Sie nicht in die Cloud auslagern oder von dort beziehen. Das gilt auch für die Sicherheit: Ein größeres Risiko als die Cloud stellt immer noch die eigene Firma dar – wenn man die eigenen Bestimmungen nur lax auslegt oder die Mitarbeiter:innen allesamt als Administratoren Zugriff haben. All diese Aspekte gilt es im Einzelfall abzuwägen. Aus meiner Sicht sind Cloud-Lösungen unter dem Strich aber der richtige Weg, gerade wenn man ökonomisch und ökologisch zugleich denkt.”

Dieser Weg ist in Deutschland mitunter recht steinig. Sie sprachen die Sicherheit an, da muss man hierzulande an die Angst vor Big Data denken oder daran, was die DSGVO alles untersagt.

“Über die DSGVO wurde viel geschimpft, auch das passt zu uns hier in Deutschland. Einen strengen Datenschutz halte ich aber für einen wichtigen Gegenpol zu dem, was beispielsweise in China und den USA möglich ist. Datensätze können wahre Schätze sein. Man muss aufpassen, wer sie hebt. Es ist richtig, wichtige Dinge wie zum Beispiel unsere Daten nach Möglichkeit in Europa zu halten und nicht nur auf US-Server zu schieben. Die Globalisierung und den weltweiten Datenverkehr können wir nicht mehr abschaffen, wir profitieren auch sehr davon. Aber wir können in Europa sehr wohl eine eigene Infrastruktur für komplexe Cloud-Lösungen schaffen, ganz gleich in welcher Größenordnung. Das gibt es nicht nur in Übersee.”

Große Innovationen sind schwer vorauszusagen. Darum ist es entscheidend, vorhandene Technologien zu entwickeln.
Prof. Dr. Wolfram Behm

Welche Dienste wird es künftig in der Cloud geben?

"Ich habe keine Glaskugel und bin auch kein Programmierer. Als Wirtschaftsinformatiker:innen versuchen wir, Technologien zu verstehen und zu beurteilen, ob und wie man diese wirtschaftlich nutzen kann. Wir verstehen uns als Wegbegleiter der Digitalisierung, sei es in der Beratung, Entwicklung oder Umsetzung. Große Innovationen sind tatsächlich schwer vorauszusagen. Darum ist es entscheidend, vorhandene Technologien zu entwickeln. Ein Beispiel wären Virtual und Augmented Reality. Das gibt es schon lange, aber von virtuellen Traumwelten, in denen wir uns verlieren, sind wir noch weit entfernt. Andererseits können wir die Technik inzwischen effizient einsetzen, zum Beispiel im Baugewerbe. Da setzen Sie heute eine VR-Brille auf und begehen ein Haus, das es noch gar nicht gibt. Dann blicken Sie durchs virtuelle Badezimmerfenster und wundern sich, dass Sie das Nachbargebäude sehen können – weil Sie das Milchglas für den Sichtschutz vergessen haben! Im Plan hätten Sie es womöglich nicht bemerkt. Dank der VR-Lösung, die Sie nicht haben kaufen und einrichten müssen, sondern as a Service buchen konnten, ist es Ihnen nicht entgangen."

Klingt schon ziemlich einfallsreich. Mit großen Innovationen meinen Sie dann Dinge, wie dass sich jemand das Internet ausgedacht hat?

"Das Internet wurde ja mit einer anderen Zielsetzung erfunden, während es sich bis heute für unterschiedlichste Leistungsbereiche weiterentwickelt hat. Aber was den Impact betrifft, ist es ein gutes Beispiel. Als sich das Netz zaghaft zu etablieren begann, wusste man schon früh, wo die Reise hingehen würde. Nicht im Detail, also welche Dienste man wie nutzen würde, aber was den Grundsatz weltweiter Vernetzung betrifft sehr wohl."

Was wäre denn ein Beispiel für eine echte Innovation?

“Wenn wir beim Netz bleiben, ist Google sehr anschaulich. Die ersten, heute fast schon historischen Suchmaschinen wie Altavista oder Yahoo waren im Grunde wie digitale Gelbe Seiten, falls Ihnen das noch etwas sagt. Wer dort gefunden werden wollte, musste sich selbst um einen Eintrag kümmern. Die Google-Gründer kamen dann auf die Idee, sogenannte Webcrawler das Netz sozusagen durchlesen und das Verzeichnis auf diese Weise automatisch erstellen zu lassen. Gleichzeitig konnten so nicht nur Schlagworte erfasst werden, sondern die gesamten Informationen einer Internetseite. Es wurden also alle Inhalte berücksichtigt und das auch noch vergleichsweise aktuell. Wenn ich das heute meinen Studierenden erzähle, erscheint es ihnen einfach nur logisch. Wie sollte man es auch sonst machen? Aber damals musste man so eine Idee, die enorme Rechen- und Speicherkapazitäten erfordert, erstmal haben. Das Vorstellungsvermögen hätte mir glaube ich gefehlt, aber damit bin ich nicht allein. Die Google-Gründer wollten ihre Idee zunächst verkaufen – ohne Erfolg.”

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Prof. Dr. Wolfram Behm

war zunächst als Projektleiter in der IT-Branche tätig und wurde Geschäftsführer eines Beratungs- und Softwareunternehmens, ehe er 2004 an die Hochschule wechselte. Der Diplom-Wirtschaftsingenieur und -Volkswirt promovierte 2001 an der TH Karlsruhe. Im selben Jahr wurde Wolfram Behm zum Professor für Informations- und Kommunikationsmanagement an der SRH Fernhochschule berufen und leitet inzwischen den Studiengang Wirtschaftsinformatik. Von 2004 bis 2014 war er Prorektor sowie von 2016 bis 2021 Chief Information Office. Er leitete den Aufbau des E-Campus ab 2014 und ist seit 2021 für die SRH E-Factory verantwortlich, die die Lernwelten der SRH Fernhochschule auch anderen Unternehmen zur Verfügung stellt. Wolfram Behm ist verheiratet und in Riedlingen zuhause.